11.08.2021, 10:45

Nachhaltigkeitspräferenz: Abfrage startet früher als erwartet

Die Branche hatte sich etwas mehr Zeit erhofft, doch nun ist es amtlich: Anlageberater und Vermögensverwalter müssen ihre Kunden bereits ab August 2022 zu ihren Nachhaltigkeitspräferenzen befragen. So sieht es die Neufassung für die Delegierte Verordnung zur Umsetzung von Mifid II vor.

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Die Nachhaltigkeitsvorgaben in Anlageberatung und Vermögensverwaltung kommen schneller als gedacht. Darüber informiert Christian Waigel, Partner der Münchner Kanzlei Waigel Rechtsanwälte. Anlageberater und Vermögensverwalter müssen ihre Kunden bereits ab August 2022 danach fragen, welche Nachhaltigkeitspräferenzen sie bei einer Geldanlage berücksichtigt wissen möchten. Diese müssen sie in die Geeignetheitsprüfung zwingend aufnehmen. 

"Eigentlich hatten wir mit einer längeren Umsetzungsfrist gerechnet", erklärt Waigel. Die EU-Kommission selbst hatte noch im Frühjahr den Oktober 2022 als wahrscheinlichen Starttermin genannt. Nun ist am 2. August 2021 aber die Neufassung für die Delegierte Verordnung 2017/565 zur Umsetzung der Finanzmarktrichtlinie Mifid II im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden. Und diese sieht für die Abfrage der Nachhaltigkeitspräfenz den 2. August 2022 als Starttermin vor.

Welche Produkte will der Kunde genau?
Auf Berater und Vermögensverwalter kommen also früher als vermutet neue Aufgaben zu. Zunächst einmal müssen sie ermitteln, welche Finanzinstrumente sie für die nachhaltige Geldanlage eines Kunden genau beziehen sollen. Dies können etwa Produkte sein, die der Taxonomieverordnung entsprechen oder solche, die einen Mindestanteil an nachhaltigen Investitionen im Sinne der sozialen und der Governance-Ziele gemäß der EU-Offenlegungsverordnung vorsehen. Diese Ergänzung ist notwendig, weil eine Taxonomie bisher nur für den Bereich Ökologie existiert. 

Gewählt werden können auch Finanzinstrumente, bei denen die wichtigsten "nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren" berücksichtigt werden. Das werden meist Produkte nach Artikel 8 und 9 der Offenlegungsverordnung sein, vermutet Waigel. Die Nachhaltigkeitspräferenzen seien in der Regel direkt an die Taxonomie-Verordnung und deren Vorschriften gebunden. "Es ist daher nur eingeschränkt möglich, selbst ESG-Kriterien zu definieren und mit dem Kunden abzustimmen", erläutert Waigel. 

Das gilt bei der Ermittlung von Interessenkonflikten
Zudem müssen Anlageberater und Vermögensverwalter bei der Feststellung von Interessenkonflikten künftig nicht nur die Interessen ihrer Kunden, sondern auch ihre Nachhaltigkeitspräferenzen einbeziehen. Es sollen nicht nur die in Betracht kommenden Produkte beschrieben werden, sondern auch die Nachhaltigkeitsfaktoren, die diese berücksichtigen. In der Kundenanalyse, in Deutschland unter dem Schlagwort WpHG-Bogen bekannt, müssen die Anlageziele erweitert werden. Außer zum gewünschten Anlagezeitraum, zu ihren Präferenzen und ihrer Risikotoleranz müssen Kunden auch zu "jeglichen" Nachhaltigkeitspräferenzen befragt werden. 

Für die Geeignetheitsprüfung gilt ab dem 2. August kommenden Jahres: Stimmt ein Finanzprodukt nicht mit den ermittelten Nachhaltigkeitspräferenzen überein, darf ein Anlageberater oder Vermögensverwalter keine entsprechende Empfehlung aussprechen oder Handelsentscheidung vornehmen. Sollte der Kunde im Nachhinein seine Nachhaltigkeitspräferenzen anpassen, etwa weil kein empfohlener Fonds seinem Verständnis von ESG vollständig entspricht, muss diese Kundenentscheidung und die Begründung dafür aufgezeichnet werden. 

Auch für Bestandskunden
Die neuen Regelungen gelten nicht nur für das Neukundengeschäft. Auch Kunden, die bereits betreut werden, müssen den Nachhaltigkeitsprozess durchlaufen. Bei Bestandskunden, bei denen bereits eine Geeignetheitsprüfung vorgenommen wurde, dürften Wertpapierfirmen aber die Möglichkeit haben, die individuellen Nachhaltigkeitspräferenzen erst bei der nächsten Aktualisierung der Eignungsbeurteilung in Erfahrung zu bringen, meint Waigel.

Und nicht zuletzt: Auch Versicherungsunternehmen und der Versicherungsvertrieb haben bei der Ermittlung von Interessenkonflikten in der Zukunft Nachhaltigkeitspräferenzen einzubeziehen. Bei der Eignungs- und Angemessenheitsbeurteilung sollen sie ebenfalls ab dem 2. August 2022 ESG-Präferenzen berücksichtigen. (am)

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